Immer auf der Suche nach dem vollendeten Klang

Instrumentenbauer Beat Kollegger und sein Schwyzerörgeli „Stradivarius“

Text von Marianne Frey / DZ 2005

Die Alchimisten des Mittelalters träumten von selbst erzeugtem Gold. Der 45-jährige Instrumentenbauer, Musiker, Komponist und Blasorchesterdirigent Beat Kollegger aber träumt seit 25 Jahren vom perfekten Schwyzerörgeli. Jetzt hat er ein erstes Ziel erreicht:
Sein selbst gebautes Schwyzerörgeli heisst „Stradivarius“ und wird nur 150-mal hergestellt.
Es gibt Menschen, die ihren Lebenstraum mit aller Konsequenz verwirklichen und damit genau das tun, was Bestsellerautor Paulo Coelho seiner Lesergemeinde im Roman „ Der Alchimist“ als Maxime für ein erfülltes Leben empfiehlt: „ Lebe deinen Traum!“ So einer ist Beat Kollegger.

 

1960 in St.Moritz geboren, hat sich Kollegger in der musikalischen Grossfamilie Kollegger, der grössten Volksmusikfamilie der Schweiz mit Vater Heinrich und acht Kindern, zum vielseitigen Musiker entwickelt. Er kam sehr früh zur Musik. Man sagt, er habe bereits als Fünftklässler seine erste Freinacht als Musikant durchgespielt. Beat Kollegger spielt Klavier, Zugposaune, Kontrabass, Schwyzerörgeli, Zither, Alphorn, Büchel, Mundharmonika, Glockenspiel, singende Säge und Flaschenklavier. Naheliegend also, dass Kollegger die Musik zum Beruf gemacht hat. Er ist Musikinstrumentenbauer mit eigener Werkstatt in Alvaneu und einem Musikfachgeschäft in Davos, wo er mit seiner Ehefrau Johanna, einer gelernten Musikinstrumentenfachhändlerin, und seinem Sohn Jon-Beat auch wohnt.

Ein Jugendtraum

Musik ist das „halbe Leben“ von Beat Kollegger. Anfänglich erwarb er in der Engadiner Lehrwerkstatt das eidg. Fähigkeitszeugnis als Schreiner, besuchte anschliessend während drei Jahren die Meisterkurse auf dem Bürgenstock und holte sich dann bei Hohner in Trossingen/D (Handzuginstrumente) und in der Instrumentenmacherschule Zimmerwald (Blasinstrumente) das nötige Rüstzeug als Musikinstrumentenbauer/ Reparateur. Nebst dieser beruflichen Tätigkeit zog es ihn nach Zürich an die Musikakademie, wo er sich zum Blasorchesterdirigenten ausbilden liess. Nebenbei machte er das Diplom als Chorleiter und begann selber Stücke für die Blasmusik zu komponieren. Er erteilte Musikunterricht, leitete fünf Jahre lang den Musikverein Innerdomleschg und war von 1991 bis 1997 Dirigent der Musikgesellschaft Davos.
Schon in der Lehre packte ihn die Leidenschaft für konstruktive und klangliche Perfektion. Sein erstes selbst gebautes Instrument war ein Hackbrett, die originalgetreue Nachbildung eines Bündner Hackbretts aus dem Jahr 1776. „Ich habe es genau 200 Jahre später nachgebaut.“ Auch ein erstes Schwyzerörgeli sowie viele weitere Instrumente entstanden bereits in der Lehrzeit.
Bald habe ihn eine Frage beschäftigt, die ihn fortan nie mehr ruhen liess: „Warum“, habe er sich gewundert, „können wir Heutigen trotz besserer Maschinen und Messgeräte keine derart einzigartigen Instrumente mehr bauen, wie das früheren Generationen gelang?“ Der erst 19-jährige Lehrling beschloss, es seinen legendären Vorbildern im Schwyzerörgelibau einmal gleichzutun. Er wollte ihre Konstruktionsgeheimnisse ergründen, speziell diejenigen der für ihn einzigartigen Nussbaumer-Instrumente, die inzwischen zur gesuchten Rarität geworden sind.

Der junge Kollegger träumte davon, eines Tages ein Schwyzerörgeli zu bauen, das dank seiner handwerklichen und klanglichen Perfektion genauso zu einer „Stradivari der Volksmusik“ werden würde wie die Instrumente des grossen Josef Nussbaumer. Auch sein Örgeli, wünschte er sich, sollte einmal zu einem Label, zu einer „gefragten Etikette“ werden. Auf dieses ambitiöse Ziel hat Beat Kollegger 25 Jahre lang hingearbeitet. Mit langem Atem zum Ziel Jetzt ist sein kunstvolles, aus edelsten Materialien gefertiges Schwyzerörgeli „Stradivarius“ mit den über 2’500 Einzelteilen endlich spielbereit. Es wird in einem intarsienverzierten Holzkoffer mit Samtpolsterung verkauft – in einer limitierten Auflage von nur 150 Exemplaren. Das Örgeli mit der Nummer 001 bleibt beim Konstrukteur. Auf das Exemplar 007 hingegen wartet ein geduldiger Interessent schon seit 15 Jahren......

Zäh, hartnäckig, unermüdlich hat sich Kollegger seinem grossen Traum Schritt für Schritt angenähert. Dabei half ihm nicht nur sein dichtes Beziehungsnetz zur Volksmusikszene. Mit im Spiel waren auch Zufall und Spürsinn. So konnte Kollegger im Lauf der Jahre durch Vermittlung von Freunden drei Nussbaumer-Schwyzerörgeli aus Nachlässen erwerben. Solche Raritäten stünden offiziell nie zum Verkauf. „Josef Nussbaumer hat etwa 1’000 Örgeli gebaut. Rund ein Drittel davon ist noch erhalten. Liebhabern sind sie bis zu 25’000 Franken wert....“

In seiner Werkstatt in Alvaneu hat Kollegger die als „Stradivari“ gerühmten Nussbaumer- Instrumente vollständig in ihre Teile zerlegt und mit Vater Heinrich und den beiden

erfahrenen Mitarbeitern Werner Platz und Miro Jahoda akribisch genau untersucht. Er liess die ehrwürdigen Stimmplatten aus einem Nussbaumer-Instrument gar an der ETH Zürich und an der „Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt (Empa)“, Dübendorf, zu eigenen Lasten austesten, weil er wissen wollte, welche Metalllegierung sein bewundertes Vorbild einst verwendet hat.

Kollegger knüpfte auch Kontakte zu verschiedenen bekannten Handzuginstrumentenbauern und bat sie um ihre Ansichten zu technisch-konstruktiven Fragen. Das sei nicht immer einfach gewesen, meint er rückblickend. „Einer der Instrumentenbauer wollte überhaupt nicht mit mir reden. Erst nach einigen „Kafi Luz“ hat sich seine Zunge gelockert. Seine Tipps waren höchst wertvoll!“

Neue und alte Freunde als Helfer

1990, kurz nach der Wende, reisten Beat Kollegger und seine Frau Johanna in Sachen Örgeli sogar in die frühere DDR. Auslöser war ein zweibändiges deutsches „Handbuch der Harmonika-Instrumente“, das auf verschlungenen Wegen in Kolleggers Besitz gelangt war. Dessen Verfasser, der Diplomphysiker Gotthard Richter, arbeitete in Zwota nahe der deutschtschechischen Grenze, im „Institut für Musikinstrumentenbau“- ein Glücksfall für Kollegger:
Richters Institut war auf physikalische Versuche wie Luftspaltmessungen an Zungeninstrumenten spezialisiert. Richter wurde zu einem Freund und hat Kollegger schon mehrmals in der Alvaneuer Werkstätte besucht.

Hilfe gefunden in Polen

Einem langjährigen Freund, dem Pianisten Marek aus dem Davoser Hotel Meierhof hingegen verdankt Kollegger die Lösung eines besonders kniffligen Materialbeschaffungsproblems: „ Ich brauchte 15’000 halbrunde Porzellanknöpfe für das Griffbrett.“ Aber wegen der kleinen Menge und der strengen Grössenvorgabe war der Auftrag für Industriefirmen uninteressant. Marek vermittelte Kollegger die Adresse einer polnischen Fachfrau, die ihm die gesuchten Knöpfe in aufwändigster Heimarbeit fertigte. Wegen des dreistufigen Porzellanbrandes sei es aber trotzdem fast unmöglich gewesen, die Knöpfe auf den Zehntelsmillimeter genau gleich gross herzustellen. „Fast die Hälfte passte nicht exakt in die Griffbrettlöcher und musste nachträglich nochmals aussortiert werden.“

Mondholz musste es sein

Nur die ausgesuchtesten Materialien waren dem Perfektionisten Beat Kollegger beim Bau seines Schwyzerörgelis gut genug. Darum wählte er auch ganz besonderes Holz. Wie die berühmten Geigenbauer Stradivari, Guarneri und Amati arbeitete Beat Kollegger ausschliesslich mit so genanntem „Mondholz“. „Unsere Väter wussten es bereits: Das an bestimmten Wintertagen und bei abnehmendem Mond geschlagene Holz bleibt rissfreier, hat weniger Feuchtigkeit und bleibt besonders ruhig; Holz weist um Neumond eine bis zu 15 Prozent höhere Dichte auf; im Winter gefälltes Holz ist weniger harzreich als Sommerholz.“ So schreibt Beat Kollegger über „Mondholz-Klangholz“ in seinem Schwyzerörgeli-Buch: „Experimente zeigen, dass es in Baumstämmen tatsächlich Prozesse gibt, die synchron zu den Mondphasen ablaufen, dass klangtechnisch relevante Holzeigenschaften vom Fällzeitpunkt abhängen und dass die Mondphasen eine wichtige Rolle spielen bei der Holzgewinnung.“

Der richtige Zeitpunkt

Manche Geigenbauer wollen des Klanges wegen daher nur Holz kaufen, das zum „richtigen“, Zeitpunkt gefällt wurde.“ Diese Beobachtungen wurden nach Aussage von Kollegger auch von ETH-Professor Ernst Zürcher gestützt. Sogar gefällte Bäume machten den Mondzyklus noch mit, hätten Untersuchungen ergeben. „ Die auf Mondphasen bezogenen Fällregeln werden für Bauholz, für die Herstellung von Schindeln, Holzkaminen, Brennholz, für den Bau von Musikinstrumenten, Käseschachteln, Fässern und Holzpflügen beachtet, aber auch für den Transport des Holzes beim Flössen. Eine Regel im Prättigau gesagt: „Flötze sötä mä bim Nidschigäntä“, weil dann das Holz schön in der Mitte des Baches bleibe.“ Sogar der Jahrhundertsturm „Lothar“ habe sich an alte Fällregeln gehalten: „Am 26. Dezember 1999 war der Mond abnehmend und zog im „Nidsigänd“ durch den Himmel – Gemäss Forstwissenschaft ein geradezu ausgezeichneter Schlag!“

Absolute Perfektion

In fünf dicken Ordnern hat Beat Kollegger alle Berichte, Skizzen und diverse interessante Fundstücke aus 25 Jahren Schwyzerörgeli-Forschung abgelegt – Rohmaterial für sein Buch „Die Suche nach der absoluten Perfektion“, das er bald abschliessen will. Auf über 200 Seiten erzählt Kollegger die Geschichte der Handzuginstrumente, von der Mundäoline aus dem 19. Jahrhundert bis zur Handäoline, die am 23.Mai 1829 in Wien unter dem Namen „Accordion“ patentiert wurde.

Er berichtet von den grossen Schweizer Örgelikonstrukteuren, von material- und klangtechnischen Besonderheiten des Schwyzerörgelis und dessen Hochblüte im und nach dem Ersten Weltkrieg. Kollegger hat keinen Verlag für sein Buch. Er wird es für die Käufer seines „ Stradivarius“- Örgelis einzeln kopieren. Und dann will er wieder weiter forschen: „Man ist ja nie zufrieden....“

Text: Marianne Frey-Hauser / Davos